Neues aus
der Forschung. In: Laborjournal
15(12), 22-23
Die Entdeckung eines neuen Synthesewegs
Ribonukleotide
in der RNA-Welt
Eine
Grundvoraussetzung für die Entstehung des Lebens vor ca. 4
Milliarden Jahren war die Existenz eines informationstragenden
Biopolymers, das in der Lage sein musste, sich selbst zu replizieren.
Nach heutiger Erkenntnis handelte es sich bei diesem Molekül
wahrscheinlich um eine Ribonukleinsäure (RNA). Diese Annahme
wird
durch die Tatsache gestützt, dass bestimmte
RNA-Moleküle
enzymatische Aktivität entfalten und die verschiedensten
chemischen Reaktionen katalysieren, unter anderem auch sich selbst
replizieren und zurecht schneiden können ("splicing"). Dieser
überraschende Befund führte dazu, dass eine ganze
"RNA-Welt"
als primordial postuliert wurde (GILBERT 1986).
Das "Rückgrat" der RNA
besteht aus einer
langen Kette über Phosphodiester-Bindungen abwechselnd
miteinander
verbundener Moleküle Phosphat sowie dem Zucker D-Ribose
[…-Phosphat-D-Ribose-Phosphat-D-Ribose…], wobei
über
eine "glykosidische Bindung" an jeweils ein Ribose-Molekül
eine
der vier Nukleinbasen Adenin, Uracil, Guanin und Cytosin
geknüpft
ist. Abb. 1 zeigt einen der vier Bausteine der RNA: das Nukleotid
Uridinmonophosphat, welches über das 3'- und 5'-Ende des
Ribose-Rings mit anderen Nukleotiden zur RNA kondensieren
kann.
Als wesentliche Schwäche
des Modells der "RNA-Welt" wurde
lange
Zeit die Instabilität der Ribose in freier wässriger
Lösung angesehen, sowie die Schwierigkeit, die
N-glykosidischen
Bindungen im Nukleotid in der "korrekten" Form (zwischen dem
Ring-Stickstoff der Nukleinbase und dem C1'-Atom des Zuckers) chemisch
zu bewerkstelligen. Obwohl schon länger empirische Befunde
vorliegen, die demonstrieren, dass aktivierte Ribonukleotide zu RNA
polymerisieren können, blieb es rätselhaft, auf
welchen Wegen
die Ribonukleotide aus ihren Bausteinen (Ribose, Nukleinbasen und
Phosphat) chemisch aufgebaut worden sein sollen. So verläuft
die
Kondensation der Purine (Adenin und Guanin) mit der Ribose an der
erforderlichen 1'-OH-Gruppe des Ribose-Rings nur in sehr geringer
Ausbeute und die der Pyrimidine (Cytosin und Uracil) praktisch gar
nicht. Aufgrund dieser Schwierigkeiten wird vielfach vermutet, dass im
Urmeer primär nicht RNA gebildet wurde, sondern
zunächst
einfachere Vorläufermoleküle der RNA, die noch ein
anderes
"Rückgrat" besessen haben (RAUCHFUSS 2005).
Abb.
1: Baustein der RNA: Das Ribonukleotid
"Uridinmonophosphat". Das Zuckermolekül Ribose ist
über die N-glykosidische Bindung am C1'-Atom mit der
Nukleinbase Uracil verknüpft. (Die Kohlenstoffatome am
Ribose-Ring sind der Nomenklatur entsprechend durchnummeriert.) Die
OH-Gruppe am C5'-Atom ist mit Phosphorsäure verestert.
Ein weiteres Problem besteht
darin, dass einfache Ausgangsstoffe, die bei der Synthese von Zuckern
und Nukleotidbasen eine Rolle spielen, häufig unkontrolliert
miteinander reagieren und dabei ein breites Spektrum an Nebenprodukten
hervorbringen. So entsteht z. B. aus alkalischen Lösungen von
Formaldehyd ein heterogenes Gemisch aus dutzenden verschiedener Zucker,
wobei die Ribose nur in sehr geringer Ausbeute entsteht und in freier
Lösung vergleichsweise rasch wieder zerfällt. Auch
die aus Blausäure und Ammoniak gebildeten Intermediate
reagieren miteinander zu einer Vielzahl an Produkten, wobei die
gewünschten Ausgangsstoffe zur Bildung von Nukleotiden nur
einen geringen Prozentsatz ausmachen (Problem der "kombinatorischen
Explosion").
Vor etwa einer Woche erschien nun
in der Wissenschaftszeitschrift "Nature" eine Arbeit von drei
ChemikerInnen, in der die Bildung von Pyrimidin-Ribonukleotiden auf
verblüffend einfache Weise beschrieben wird (POWNER et al.
2009; SZOSTAK 2009). Um die Probleme konventioneller Synthesen zu
umgehen, wurden nicht etwa die Bausteine der Nukleoside (hier: der
Pyrimidin-Heterozyklus und die Ribose) separat hergestellt
und
anschließend miteinander kondensiert, sondern durch Reaktion
chemisch einfach gebauter Vorstufen beide simultan in einem
Molekül aufgebaut. Der Syntheseweg führt
also nicht
über die freie Ribose, sondern über die Verbindung
2-Aminooxazol, so dass die schwierige Kondensation mit Pyrimidinen
umgangen wird (Abb. 2).
Abb.
2: Modelle zur präbiotischen Entstehung von
Pyrimidin-Ribonukleotiden. (a) Nach der traditionellen Ansicht
entstanden die freie Ribose sowie die Nukleinbasen separat, bevor sie
miteinander zum Ribonukleosid kondensierten. (b) Dem Modell von POWNER
und Kollegen zufolge ist das intermediär auftretende
2-Aminooxazol, welches sowohl zur Ribose als auch zum Pyrimidin-Ring
Atome beisteuert, die gemeinsame Vorstufe beider Komponenten des
Ribonukleosids. Folglich mussten diese nicht separat entstehen. Aus
SZOSTAK (2009, 171). (Eine ausführlichere Darstellung der
Reaktionswege findet sich bei POWNER 2009, 239).
Als Ausgangsstoffe dienten
präbiotisch plausible Verbindungen wie Cyanamid,
Cyanoacetylen, Glykolaldehyd, Glycerinaldehyd sowie anorganisches
Phosphat. Dabei reagieren Glykolaldehyd und Cyanamid zunächst
zum 2-Aminooxazol, welches sich mit Glycerinaldehyd und Cyanoacetylen
in zwei Schritten zum Anhydroarabinonucleosid umsetzt. Dieses wird im
letzten Schritt zum Pyrimidin-Ribonukleotid phosphoryliert.
Interessanterweise ist Phosphat
bei dieser Reaktion nicht nur als Edukt bei der Veresterung des
Nukleosids zum Nukleotid von Bedeutung. Vielmehr scheint die
Anwesenheit von Phosphat selektiv
gleich mehrere Teilschritte der
Reaktion zu steuern, indem es z. B. als pH-Puffer und Katalysator mit
nukleophilen Eigenschaften fungiert. Dadurch wird die kombinatorische
Vielfalt unterdrückt, so dass kaum unerwünschte
Nebenprodukte auftreten.
Diese Reaktion verdeutlicht die
eminente Bedeutung von Mehrkomponenten-Systemen in der chemischen
Evolution. Die bisherigen Ergebnisse deuten darauf hin, dass nicht
notwendigerweise mehrstufige Reaktionen ablaufen müssen, um
komplizierte Biomoleküle aufzubauen. Komplexe Gemische
müssen auch nicht zwangsläufig zu einem breiten
Produktspektrum mit geringen Ausbeuten führen, sofern einzelne
Komponenten kooperativ verschiedene Teilschritte der Reaktion kinetisch
oder thermodynamisch kontrollieren. Dass dies unter
präbiotisch plausiblen Bedingungen möglich ist,
belegen die empirischen Befunde auf eindrucksvolle Weise. Dadurch
gewinnt auch das Modell der "RNA-Welt" ("RNA-first hypothesis")
erheblich an Plausibilität.
Literatur
GILBERT, W. (1986) The RNA world. Nature 319, 618.
POWNER, M.W./GERLAND, B./SUTHERLAND, J.D. (2009) Synthesis of activated
pyrimidine ribonucleotides in prebiotically plausible conditions.
Nature 459, 239-242.
RAUCHFUSS, H. (2005) Chemische Evolution und der Ursprung des Lebens.
Springer-Verlag, Berlin.
SZOSTAK, J.W. (2009) Systems chemistry on early earth. Nature 459,
171-172.