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Hintergrund
Wie groß ist die genetische Varianz beim
Menschen?
Was
der Haplotyp über die menschliche Evolution verrät
Wie
stark sich das menschliche Genom von dem beispielsweise der Schimpansen
unterscheidet, kann man mittlerweile auch in der Bild-Zeitung
nachlesen. Aber wie groß ist die Varianz des menschlichen
Genoms? Das
HapMap-Projekt
sucht und dokumentiert Sequenzunterschiede
in menschlichen Genomen.
Der Großteil des Genoms
ist bei allen Menschen identisch, aber durchschnittlich alle 1000 bis
1200 Basenpaare (bp) findet man einen Unterschied. Dies kann eine
Deletion oder Insertion eines oder mehrerer Basen sein, aber meistens
ist der Unterschied nur, welche Base an der Stelle steht. Zur
Verdeutlichung: Eine Sequenz an einer Stelle des Genoms eines
bestimmten Menschens könnte lauten:
...AGGTCAGT...
Wenn man die gleiche Stelle des
Genoms bei verschiedenen anderen Menschen untersucht, kann es sein,
dass man auch die folgenden Varianten dieses Abschnitts
findet:
...AGGCCAGT...
...AGGGCAGT...
...AGGACAGT...
Die Auftreten von
Sequenzunterschieden an einer bestimmten Stelle des Genoms bezeichnet
man als Single Nucleotide Polymorphisms (SNPs; gesprochen: Snips) und
jede einzelne "Schreibweise" stellt ein Allel dar. Da die Abschnitte
zwischen den SNPs identisch sind, muss man, um die gesamte Genomsequenz
eines Menschen zu kennen, theoretisch nur alle Stellen mit SNPs
bestimmen.
...CAG....GTCA.....GTA...
...GAG....GCCA.....GTA...
...GAG....GGCA.....GTT...
...TAG....GACA.....GTT...
Würden in dem obigen
Beispiel mit vier Allelen jeweils die Basen an den aufeinanderfolgenden
SNPs (in rot) bestimmt, wüsste man die gesamte Sequenz der
untersuchten (haploiden) Genome in diesem Bereich (da Menschen diploid
sind, d. h. einen doppelten Chromosomensatz haben, von denen der eine
vom Vater, der andere von der Mutter stammt, können sich die
Sequenzen der beiden Chromosomensätze unterscheiden).
Die einzelnen SNPs kommen nicht in
allen Kombinationen vor. Wenn in dem obigen Beispiel an der ersten
Stelle C, G oder T stehen kann und an der zweiten T, C, G oder A,
könnten theoretisch 12 verschieden Kombinationen auftreten.
Tatsächlich findet man aber häufig nur bestimmte
Kombinationen, in dem obigen Beispiel wäre das C an erster
Stelle mit T an der zweiten, G nur mit C oder G, T nur mit A. Grund
dafür ist, dass durch sexuelle Rekombination nahe beieinander
liegende Bereich selten getrennt werden.
In
der Abbildung ist zur
Verdeutlichung ein Chromosomenpaar dargestellt, auf beiden ist jeweils
ein Allel mit "A" bzw. "T" markiert. Ohne sexuelle Kombination
würden die Allele auf diesen Chromosomen getrennt voneinander
vererbt werden, kein Nachfahre würde beide Allele bekommen (es
sei denn, eines der beiden Allel würde zufällig durch
Mutation neu entstehen, was sehr unwahrscheinlich ist). Durch sexuelle
Rekombination während der ersten Reifeteilung zur Produktion
von Ei- bzw. Spermazellen (
Crossing-over)
können aber Teile
beider Chromosomen ausgetauscht werden, so dass in
Nachfolgegenerationen einzelne Menschen auch beide Allele auf einem
Chromosomen tragen (im Beispiel: der mit "AT" markierte Mensch) oder
keins von beiden.
In der Abbildung kann man auch
erkennen, dass ein gewisser Abschnitt um das "T" herum bei allen
Nachfahren vorhanden ist, die das "T"-Allel geerbt haben. SNPs, die in
diesem Abschnitt liegen, sind bei einem Großteil der
Menschen, die auch das "T" erhalten haben, gleich. Diese Abschnitte von
SNPs, die verlinkt sind und in der Regel gemeinsam vererbt werden,
bezeichnet man als Haplotyp und das "T" wäre ein sogenannter
"Tag-SNP", da man nur schauen muss, ob ein Individuum ein "T" an dieser
Stelle hat, um mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die benachbarten SNPs
zu kennen.
Das HapMap-Projekt versucht, eine
Haplotypen-Bank aufzubauen und genau solche Tag-SNPs zu identifizieren.
Dazu werden von insgesamt 270 Menschen aus verschiedenen Populationen
(in Europa, China, Afrika, Japan) die SNPs bestimmt – im
Oktober wurde die Phase II des Projekts veröffentlicht, mit
über 3 Millionen SNPs (The International HapMap Consortium. A
second generation human haplotype map of over 3.1 million SNPs. Nature
449, 851-861. 2007; frei herunterzuladen
hier).
Basierend auf diesen
Daten wird vermutet, dass es momentan insgesamt 9 – 10 Mio.
relativ verbreitete SNPs gibt. Grund für diese Datensammlung
ist, dass man beispielsweise bei Menschen mit Multipler Sklerose (oder
einer anderen Krankheit) mit Hilfe von Tag-SNPs relativ einfach die
Haplotypen bestimmen und so feststellen könnte, ob bestimmte
Haplotypen häufiger vorkommen als in der
"Normal"-Bevölkerung. Gene, die von solchen "abweichenden"
Haplotypen betroffen sind, könnten an der Entstehung der
jeweiligen Krankheit beteiligt sein und dann genauer untersucht
werden.
Aus den gesammelten Daten kann man
auch viele Rückschlüsse auf den Verlauf und die
Geschichte der menschlichen Evolution ziehen. Je länger eine
Population besteht (je mehr Generationen), umso häufiger ist
die Durchmischung von Chromosomen durch sexuelle Rekombination und umso
größer die Wahrscheinlichkeit, dass auch nahe
zusammenliegende Bereiche/SNPs von einander getrennt werden. Das
Resultat sind viele verschiedene, kürzere Haplotypen. Von den
untersuchten Populationen weist die afrikanische die meisten Haplotypen
auf, die im Durchschnitt auch kürzer sind als die in den
anderen Populationen. Ein weiterer Beleg für die allgemein
anerkannte "Out-of-Africa"-Hypothese, nach der der Ursprung der
Menschheit in Afrika liegt. Die ausgewanderten Gruppen, aus denen die
anderen Populationen hervorgegangen sind, haben nur einen Bruchteil der
zu dem Zeitpunkt vorhandenen Variation "mitgenommen" und es ist weniger
Zeit für die Entstehung neuer Varianten gewesen, so dass alle
anderen Populationen längere und nicht so viele verschiedene
Haplotypen aufweisen.
Als Folge dessen ist es in Europa,
China oder Japan wahrscheinlicher, für bestimmte Abschnitte
des Genoms homozygot zu sein, also von beiden Eltern den gleichen
Haplotyp zu erben und folglich auf beiden Chromosomen eines Paars
identische Allele aufzuweisen.
In
dem oben zitierten
Nature-Artikel von
2007 findet sich auch die nebenstehende Darstellung
dieses Sachverhalts. Für die Abbildung haben sie bestimmt, wie
groß die homozygoten Bereiche des Genoms bei jedem der
untersuchten Individuen sind (für die einzelnen Chromosomen
getrennt aufgetragen; das X-Chromosom konnte natürlich nur bei
Frauen auf homozygote Abschnitte untersucht werden). Grün:
Afrika, orange: Europa, violett: China, blau: Japan. Die "Gefahr",
unwissentlich einen "Verwandten" zu heiraten, ist also für
Japaner und Chinesen viel größer als für
Afrikaner...
Anlass dieses Beitrags war
eigentlich ein neuer Artikel über Daten aus dem HapMap-Projekt
[BARREIRO et al. (2008) Natural selection has driven
population
differentiation in modern humans. Nature
Genetics doi:10.1038/ng.78],
der sehr interessant ist, aber das werde ich angesichts der
Länge, die dieser Beitrag schon hat, besser in einem neuen
Artikel machen.
Um die anfängliche Frage
noch zusammenfassend zu beantworten: Jeder Mensch hat mit jedem anderen
nicht-verwandten Menschen mindestens 99,9 % der Genomsequenz gemeinsam,
die restlichen 0,1 % sorgen für unterschiedliches Aussehen,
erhöhen oder senken das Risiko, an bestimmten Krankheiten zu
erkranken oder besser/schlechter auf manche Medikamente anzusprechen,
befähigen die einen zum "Zungerollen", während andere
das nicht können und sorgen insgesamt dafür, dass das
Leben etwas interessanter wird.
Literatur
The International HapMap Consortium (2008) A second generation human
haplotype map of over 3.1 million SNPs. Nature 449, 851-861.
www.hapmap.org/downloads/presentations/nature_hapmap3.pdf
Autor: Sabine
Schu
© Sabine Schu (nur Text)
05.03.2008